Das Lesen und Schreiben gehören heute in unserer Kultur zu den
grundlegenden Fertigkeiten, die einem Menschen die uneingeschränkte
Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Kinder beginnen mit
dem Entdecken der Schriftsprache bereits weit vor dem
Grundschuleintritt. Dabei sind die Kinder im Vorteil, die viel Kontakt
zu Büchern haben, denen zu Hause regelmäßig vorgelesen wird und denen
die
Eltern Vorbild im Lesen von Bücher oder Zeitungen sind.
Der
Schriftspracherwerb (nach GÜNTHER) lässt sich vor und während der Grundschulzeit in folgende Stufen gliedern:
Zunächst ahmt das Kind in der
Kritzelstufe (auch
präliteral-symbolische Stufe) das Schreiben von Buchstaben und Wörtern
nach. Es „spielt“ Lesen und Schreiben, hält dabei das Buch
schon mal verkehrt herum und „schreibt“ Zeichen, deren Sinngehalt sich
nur ihm allein erschließen. Ohne auch nur einen Buchstaben zu kennen
ahnt es bereits, dass lesen und schreiben etwas mit der
Wiedergabe von Erzähltem zu tun haben.
In der
logographischen Stufe (auch logographemische
Stufe) ist dann den Kindern bereits klar, dass die oft auftauchenden
Zeichen (Buchstaben) in Verbindung zu Dingen oder
Erzählungen stehen. Es kann schon ganze Schriftzüge erkennen (so z.B.
das Logo von „Coca-Cola“). Das Kind kann dabei noch nicht lesen, es hat
vielmehr die wiedererkannten Zeichen als Bilder im Gehirn
gespeichert und wieder abgerufen.
Die
alphabetische Stufe erlaubt es Kindern dann als
erste schulische Stufe des Schriftspracherwerbs, die Buchstaben
(Grapheme) mit Lauten (Phoneme) in Verbindung zu setzen. Das
Wort DOSE z.B. wird in seine einzelnen Buchstaben zerlegt (Analyse) und
das Kind dabei angeleitet, die Buchstaben D-O-S-E zu hören. Umgekehrt
verhält es sich mit dem Verbinden (Synthese) der
Buchstaben zu einem Wort. Diese Stufe ist oft von einer lautgetreuen
Schreibweise der auch im Deutschen nicht immer lautgetreuen Sprache
geprägt. Das Kind hört z.B. am Wortende von „Hand“ ein t und
verschriftlicht dieses Wort – logischerweise -als „Hant“. Kinder haben
in der alphabetischen Stufe jedoch meist viel Spaß am Schreiben, da es
Neues zu entdecken und diese Entdeckungen auch umzusetzen
gilt. Vor allem diese alphabetische Stufe steht in einem engen
Zusammenhang zur
phonologischen Bewusstheit eines Kindes.
In der
orthographischen Stufe steht das Erlernen von
Rechtschreibregeln im Vordergrund (Mitlautverdopplung, s-Laute, k-laute
etc.). Ebenso können Kinder in der Regel jetzt beim
Lesen nicht mehr nur die einzelnen Buchstaben, sondern bereits
Buchstabenverbindungen erfassen und dementsprechend schneller
sinnverstehend lesen. Der häufige Umgang mit Büchern ist für das
Fortschreiten in dieser Stufe besonders wichtig.
Die
grammatikalische Stufe erlaubt den Kindern
Einsicht in die Satzstruktur, in den Aufbau von Wörtern in Vor- und
Endsilben sowie Wortstämme (Morpheme), in Wortbildung, Groß- und
Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibung und in die Zeichensetzung.
Diese Stufe dehnt sich bis in die höheren Klassen aus und stellt auch
Erwachsene immer wieder vor Herausforderungen.
Als abschließende Stufe des Schriftspracherwerbs folgt dann die
integriert-automatisierte Stufe.
Durch häufiges Lesen und Schreiben werden die erworbenen Regeln
„eingeschliffen“.
Wörter werden als Ganzes gelesen und beim Schreiben muss sich das Kind
nicht mehr bei jedem Wort die gelernten Rechtschreibregeln ins
Gedächtnis rufen. Dieses automatisierte und schnellere Lesen und
Schreiben erlaubt es ihm, seine
Konzentration auf das Textverstehen und Aufgabenstellungen zu lenken, die „Arbeitsgeschwindigkeit“ erhöht sich.
Weitere Informationen zu den Stufenmodellen des Schriftspracherwerbs erhalten Sie auf der Homepage der
Ludwig-Maximilians-Universität München.
Probleme beim Schriftspracherwerb können in allen
genannten Stufen auftauchen. Deshalb ist es wichtig, das Kind bei
Auffälligkeiten auch schon im letzten Vorschuljahr untersuchen
und gegebenenfalls fördern zu lassen. Die im Zusammenhang mit der
alphabetischen Stufe bereits genannte
phonologische Bewusstheit
(im weiteren Sinne) ist eine
Grundvoraussetzung für den erfolgreichen und problemfreien Erwerb der
Schriftsprache. Je früher eine Förderung einsetzt, umso
erfolgversprechender kann einer
LRS
oder der Ausprägung einer
Legasthenie entgegengewirkt werden.
Auch beim Auftauchen von Schwierigkeiten in den darauf folgenden Stufen sollte eine zusätzliche
Förderung,
ob im schulischen oder außerschulischen Bereich,
immer erwogen werden. Damit kann dem Kind eine „Karriere“ als
lese-rechtschreibschwacher Schüler erspart bleiben und ihm seine
schulische Laufbahn erheblich erleichtert werden.